Gegenstand dieses Abschnitts sind eine Reihe von Ausnahmebestimmungen, die sich oftmals schon in der Rechtssprechung entwickelt haben und schließlich im § 27 SGB II zusammengefasst wurden oder als Ausnahme in § 7 Abs. 6 aufgenommen wurden. Sie ermöglichen den (Teil-)Bezug von Arbeitslosengeld II trotz voller Immatrikulation. Gemeint sind:
Mehrbedarfe und einmalige Leistungen ("nicht-ausbildungsgeprägte Bedarfe")
Die Mehrbedarfe bei Schwangerschaft ab der 12. Woche, für Alleinerziehung oder für kostenaufwendige Ernährung sollen bewilligt werden, weil diese Bedarfe sich nicht auf das Studium beziehen. Das ist seit 2011 auch im Gesetzestext selbst festgeschrieben:
"(2) Leistungen werden in Höhe der Mehrbedarfe nach § 21 Absätze 2, 3, 5 und 6 und in Höhe der Leistungen nach § 24 Absatz 3 Nummer 2 erbracht, soweit die Mehrbedarfe nicht durch zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen gedeckt sind." (§ 27 Abs. 2 SGB II)
§ 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II meint die einmalige Beihilfe in Bezug auf "Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt".
SGB II-Zugang für bei den Eltern wohnende, BAföG beziehende Studierende (ab 1.8.2016)
Bei den Eltern wohnende Studierende mit geringer BAföG-Bemessung, die
1. tatsächlich BAföG-Leistungen erhalten (oder nur rechnerisch nicht erhalten) oder
2. noch keine Entscheidung vom BAföG-Amt erhalten haben,
gehören mit dem 1.8.2016 nunmehr zu den Leistungsberechtigten des SGB II. Ihre BAföG-Leistungen und das auf sie entfallende Kindergeld werden als Einkommen angerechnet.
In der Regel ist dieser Personenkreis bis zum 25. Geburtstag Teil der Bedarfsgemeinschaft, so dass auch die Eltern im Leistungsbezug stehen. Sollte das BAföG-Amt grundsätzlich die Leistungen für das Studium ablehnen (z.B. wegen des Leistungsnachweises, eines Zweitstudiums oder eines verspäteten Fachrichtungswechsels), so wird auch das Jobcenter im Folgemonat nach der BAföG-Entscheidung die Leistungen verweigern (§ 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II, Stand: 1.8.2016).
Beispielrechnung
Härtefallgewährung für atypische Lebenssituationen
"Leistungen können für Regelbedarfe, den Mehrbedarf nach § 21 Absatz 7, Bedarfe für Unterkunft und Heizung, Bedarfe für Bildung und Teilhabe und notwendige Beiträge zur Kranken‐ und Pflegeversicherung als Darlehen erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 5 eine besondere Härte bedeutet."
(§ 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II, in der Fassung ab 1.8.2016, gegenüber der Vorfassung inhaltlich unverändert)
Gewährung im Härtefall nur als Darlehen
Die oben zitierte Härtefallklausel ermöglicht bei bestimmten atypischen Lebenssituationen den Bezug von Leistungen in Darlehensform trotz vollwertiger Immatrikulation. Es handelt sich allerdings um eine Kann-Bestimmung mit einer interpretierbaren Bedingung: "eine besondere Härte" muss vorliegen. Die ausführende Behörde hat folglich einen Ermessensspielraum, der durch Rechtsprechung eingeschränkt wird. Diese Rechtsprechung hat sich bereits im Vorgängergesetz des SGB II - der Sozialhilfe - entwickelt und wurde in der jetzt zuständigen Sozialgerichtsbarkeit weiterentwickelt.
Grundsätze der Härtefallerwägung: Unterstellung der Eigenfinanzierung
Die Härtefallregelung soll nur besondere Ausnahmen berücksichtigen. Grundsätzlich ging das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung zu diesem Thema davon aus, dass Studierende für ihren Lebensbedarf arbeiten müssen. Dies gilt auch für die Abschlussphase eines Studiums. Falls während der letzten Prüfungen keine Zeit mehr zum Arbeiten ist, sei hierfür bereits vor der Prüfungsphase eine Rücklage zu bilden (so die Herren Richter). Was ist aber, wenn legitime Gründe existieren, die Erwerbsarbeit auch vor der Prüfung unmöglich gemacht haben?
Mögliche Ausnahmen
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, das für den Raum Oldenburg zuständig ist, hatte einige potentielle Fallkonstellationen benannt, die eine Härte darstellen können:
- Die Abschlussfinanzierung war ursprünglich sichergestellt, fällt aber ohne eigenes Verschulden unerwartet weg.
- Studierenden mit Kindern, (chronisch) kranken oder behinderten Studierenden ist unter Umständen weder während des Studium noch zum Abschluss eine Erwerbsarbeit zuzumuten. Durch die studienexternen Belastungen wurde das Studium in besonderer Weise beeinträchtigt.
Weitere Bedingungen
- Die Härtefallregelung kommt meistens nur zum Studienabschluss in Frage.
- Die Problemlage konnte durch reguläre Studienfinanzierungsquellen nicht aufgefangen werden. Zum Beispiel sind die BAföG-Verlängerungstatbestände bei Kindererziehung nicht in jedem Fall ausreichend.
- Elternunterhalt oder Studienkredite sind ausgeschlossen.
- Die Lebenslage der/des Studierenden muss sich derart von einer normalen Studienbiographie abheben, dass von einem "atypischen Fall" gesprochen werden kann.
Es muss im Einzelfallverfahren bestimmt werden, wann ein Härtefall vorliegt. Bei alleinerziehenden Studierenden mit Kindern im Vorschulalter standen die Chancen aber nicht schlecht (Urteil des OVG Lüneburg vom 29.9.95 - Az.: 4 M 5332/95), was auch Eingang in die Hinweise der Bundesagentur zu § 27 SGB II fand (siehe dort Randziffer 27.10, Stand: 10.8.2016). In den Hinweisen werden dort weitere Fallkonstellationen aufgezählt. Seit dem 1.8.2016 findet sich in den Hinweisen keine "Anlage 1", obwohl im Seitenkopf jeder Seite der Begriff eingebracht ist. Es fehlt daher an Beispielen, die früher dort zu finden waren, z.B. die Hilfe beim Studienabschluss.
Übergangsmonat bei BAföG-Antragstellung
Überbrückungen bis zu einem Monat sind nach § 27 Abs. 3 Satz 4 SGB II problemlos als Härtefall anerkannt .
Wichtig: Mehrbedarfe, Krankenversicherung, Wohngeld
Die darlehensweise Vergabe bei Härtefällen bezieht sich ausschließlich auf die Bedarfanteile, die normalerweise einem Studierenden nicht gewährt werden. Folglich sind eventuelle Mehrbedarfe und natürlich auch der Bedarf von Kindern weiterhin als Zuschuss zu zahlen (Hinweise zu § 27 SGB II, Rz. 27.11, Stand: 10.8.2016)! Es entsteht keine eigenständige Krankenversicherung durch den Arbeitslosengeld II - Leistungsbezug, allerdings werden die Kosten einer freiwillig gesetzlichen oder studentischen oder privaten Krankenversicherung in die Bedarfberechnung übernommen. Außerdem besteht bei nur darlehensweisem Bezug ein paralleler Anspruch auf Wohngeld (§ 8 Abs. 1 Satz 3 WoGG).
Zahlungslücke bei Ausbildungsbeginn
In § 27 Abs. 3 Satz 4 SGB II ist eine darlehensweise Überbrückungshilfe von einem Monat vorgesehen, sollte es bei Beginn der Ausbildung zu Zahlungsverzögerungen kommen (Hinweise zu § 27 SGB II, Rz. 27.19ff, Stand: 10.8.2016).
Diese Pufferregelung ist vor allem für Personen interessant, die bereits kurz vor Beginn der Ausbildung im Bezug von Arbeitslosengeld II stehen. Alle anderen sollten erwägen, bei derart kurzen Zeiträumen ein Überbrückungsdarlehen beim zuständigen AStA zu beantragen. Möglicherweise ist das unbürokratischer.